Schulchronik: Das Schuljahr 1938/39
(April 1938 bis April 1939)
 
 
 
   
  Freiheitsbeschränkungen für Juden   F. Germann im Jahresbericht 1938/39       F. Germann   Freiheitsbeschränkungen für Juden       Lehrerratssitzung am 12.9.1938 (Protokoll)   F. Germann   Aus den Aufzeichnungen von Sophie Dann       Freiheitsbeschränkungen für Juden   Regierungspräsident K. Wahl, 1938   Jahresbericht MT 1938/39   Sophie Dann   Lagebericht des Regierungspräsidenten
K. Wahl, 1938
  Novemberpogrom       Freiheitsbeschränkungen für Juden   Sophie Dann   F. Germann           Sophie Dann   Freiheitsbeschränkungen für Juden   F. Germann   Freiheitsbeschränkungen für Juden       F. Germann       Aufgaben der Reifeprüfung 1939   F. Germann   Lehrerratssitzung am 17.3.1939 (Protokoll)      
                                                                                                                                 
  Juden müssen ihr Vermögen anmelden, wenn es
5000 Reichsmark übersteigt. (26.4.1938)
  »Am 26. April 1938 hörte die ganze Schule um zehn Uhr die Rundfunkübertragung der Rede des Herrn Reichsministers Rust an die deutsche Jugend.

Zu Beginn des Schuljahres 1938/39 wurde der Maria-Theresia-Schule eine dreiklassige ›Haustöchterschule‹ angegliedert … Die Haustöchterschule ist eine Mittelschule … gibt den Mädchen auch noch das Rüstzeug mit für den natürlichsten und vornehmsten Pflichtenkreis, den der Gattin und Mutter in der Familie …«

 
MT »besondere Schulzensur« über Eva Eckert, Klasse IIa, Klassleiterin Klara Neu:

»Ein sehr wohlerzogenes, liebe
s Kind, das sich
in seiner schwierigen Stellung als Halbarierin
immer taktvoll zu benehmen weiß.« Eva
Eckert galt als so genannter »Mischling 1. Grades«, als »Halbjüdin« (s. auch Schuljahr 1943/44).
  »Als am Dienstag, den 10. Mai 1938, der Führer auf der Rückfahrt von Italien durch Augsburg kam und sein Zug für einige Minuten halt machte, durfte ihm unsere Jugend auf dem Bahnsteige ihre Begeisterung und Liebe in überschäumender Weise zum Ausdruck bringen.«   Juden werden vom Besuch der Börsen ausgeschlossen. (20.6.1938)

Juden dürfen u.a. nicht mehr mit Grundstücken handeln, Häuser und Grundstücke verwalten und Ehen vermitteln. (6.7.1938)

Die Zulassungen jüdischer Ärzte erlöschen. Sie dürfen in Ausnahmefällen noch als »Krankenbehandler« Juden behandeln. (25.7.1938)

Aus einem Schriftstück: »Bei dieser Gelegenheit weise ich erneut darauf hin, dass es allen Juden, gleichgültig ob Rasse- oder Glaubensjuden, nur gestattet ist, die genannten Behandler in Anspruch zu nehmen.«

Juden müssen ab 1.1.1939 die Zwangsvornamen Israel und Sara annehmen. (17.8.1938)
    »Der Vorsitzende Oberstudiendirektor Dr. Germann … weiß, dass alle noch ganz unter dem Eindruck der prachtvollen Rede Görings stehen, die die Montagszeitungen gerade brachten, eine Rede, die unsere Staatsführer 1914 leider nicht halten konnten, und hofft auf Befreiung der Sudetendeutschen …«   »Gewaltige politische Spannungen und Taten bildeten den Hintergrund für die Arbeit dieses Schuljahres. An seinem Anfang war die tiefgehende Erregung unseres Volkes und unserer Jugend über die glückliche Heimkehr der Ostmark gerade im Ausklingen. In steigender Ergriffenheit verfolgten wir dann den tragischen Kampf der Sudetendeutschen im Sommer 1938 und erlebten im Herbst 1938 mit fieberndem Herzen als Ergebnis genialer Führung die Wende, die Eingliederung des Sudetenlandes in das großdeutsche Reich.«   »Ende September 1938 wurden die Polen aus Deutschland ausgewiesen, die Augsburger polnischen Familien ausgesucht und bis zum Abtransport eingesperrt. Doch als der Transport von Südbayern die Grenze erreichte, hatte Polen die Grenze gesperrt. Es war ganz rührend, aber auch aufregend, zu sehen, mit welcher Freude, wirklichem Glücksgefühl, die Ausgewiesenen drei Tage später in 'ihre Heimat' zurückkehrten. Denn wer konnte noch glauben, dass ihm die Heimat erhalten bleiben würde?«
(S. Dann, Zum 3. Reich in Augsburg)
  Unter den Augsburger Juden, die aus Polen stammten, war auch Simon Kupfer, der Vater der ehemaligen MT-Schülerin Ruth Kupfer.
Sophie Dann (geb. 1900) war eine Tochter von Albert Dann, dem Kommerzienrat und Wohltäter der Stadt Augsburg. Ihre Schwestern Elisabeth Dann und Lotte Dann hatten die Maria-Theresia-Schule besucht. Im Juli 1933 war Sophie Dann als Jüdin von der Augsburger Mütterschule entlassen worden, die 1930 von ihr selbst gegründet worden war. In der Folge leitete sie Mütterschulkurse für jüdische Mädchen.
  Jüdische Rechtsanwälte sind ab 30.11. an deutschen Gerichten nicht mehr zugelassen. Sie können in Ausnahmefällen als »Konsulenten« Juden beraten und vertreten. (27.9.1938)   »Eine Postwurfsendung des jüdischen Kaufhauses Schocken (s. die Kurzbiografien von Dora und Elsbeth Landauer) an alle Haushaltungen in Augsburg gab zu verschiedenen Klagen Anlass … Der Oberbürgermeister von Augsburg regt das Verbot einer derartigen Werbung jüdischer Firmen an …«
(G. Römer, Der Leidensweg)
  Deutsche Aufsatzthemen Klassen G9–G7 (Auswahl):

»›Widerstände sind nicht dazu da, dass man vor ihnen kapituliert, sondern dass man sie bricht.‹
(A. Hitler)«

»Unrecht will sein, Recht muss sein; darum muss Kampf sein.«

»›Der Wille entscheidet, nicht die Zahl.‹ (A. Hitler

»Die Gleichstellung der Frau gegenüber dem
Manne bedeutet keine Gleich-, sondern eine Minderberechtigung der Frau.«
 

»10.11. [1938] 4 Uhr 30 früh Anruf, dass Synagoge brennt. Taxi bestellt. Chauffeur erzählt, dass in den jüdischen Geschäften die Fenster eingeschlagen und überall geplündert worden sei
(W. Groos, Juden in Augsburg)

  »Die Demonstrationen und Aktionen am 10. und 11. November 1938 gingen … im allgemeinen reibungslos vor sich. Fensterscheiben von Geschäften und Synagogen, zum Teil auch von Privatwohnungen der Juden gingen hierbei in Trümmer …«
(G. Römer, Der Leidensweg)
  Nach dem Attentat auf den deutschen Gesandtschaftsrat vom Rath in Paris wurden überall in Deutschland Synagogen geschändet und zerstört, Geschäfte und Wohnungen geplündert, über 26 000 männliche Juden verhaftet (»Reichskristallnacht«). Auch die Synagoge in der Halderstraße wurde verwüstet. Die Synagoge Augsburg-Kriegshaber war 1938 religiöse Zufluchtsstätte der jüdischen Bürger. Als »Sühne« wurde den Juden auferlegt, 1 Milliarde Reichsmark an das deutsche Reich zu zahlen. (12.11.1938)
(G. Römer, Der Leidensweg)
  Aus den meisten jüdischen Familien Augsburgs wurden die Männer am 10. November 1938 zunächst ins Gefängnis am Katzenstadel, dann in das Konzentrationslager Dachau gebracht, wo sie unter quälenden Umständen einige Zeit festgehalten wurden. Ausführlich bezeugt ist dies z.B. für den Vater und den Bruder der MT-Schülerin Irma Landmann.   Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben: Alle jüdischen Geschäfte, Handwerksbetriebe u.a. werden geschlossen. (12.11.1938)

Juden wird verboten, Theater, Kinos, Konzerte, Ausstellungen, Lesehallen, Museum, Eislaufplatz, Schwimmbad usw. zu besuchen. (12.11.1938)

 

»13.11. Anordnung, dass das Altersheim [Frohsinnstraße] am nächsten Abend geräumt sein muss.
Wohnungssuche für 32 alte Menschen; außerdem auch für neue Flüchtlinge aus Schwaben und Franken.«
(W. Groos, Juden in Augsburg)

  »Unter den 489 Schülerinnen bei Beginn des Jahres befanden sich 7 Jüdinnen, von denen 3 im Sommer austraten. Die letzten 4 verließen die Anstalt gemäß dem Erlass des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung am 14. November 1938.«  
Die Angabe ist nicht exakt. Am 28.5.1938, einige Wochen nach Schuljahresbeginn, trat Hilde Waluta 12-jährig aus, am 9.9.1938 Ilse Stein im Alter von 14 Jahren.

Erika Charon, Liese Einstein, Irma Landmann, Hannah Untermayer und Edith Weil, also fünf Mädchen, mussten am 14.11.1938 das MT verlassen. Die 10-jährige Erika, das jüngste der Mädchen, besuchte bis dahin etwa ein halbes Jahr lang die 1. Klasse, die 15jährige Irma, das älteste der Mädchen, die Klasse L5.

   

»14.11. Die aus den Schulen gewiesenen Mädchen, Mittelschülerinnen, helfen mir im Altersheim, da die erregten alten Leute nicht imstande sind, ihre Habseligkeiten allein zu packen. Noch ist nicht für alle Unterkunft gefunden; doch sind um 7 Uhr abends alle Leute untergebracht. Die wertvolle Einrichtung des Hauses musste dort bleiben. Fortgesetzte Berichte von Leuten, die Lastautos mit Juden in Richtung Dachau haben fahren sehen. Die Chauffeure erzählen Schreckliches über die Behandlung der Gefangenen beim Transport ... Immer neue Wohnungskündigungen.«
(W. Groos, Juden in Augsburg)

  Führerscheine und Kraftfahrzeugzulassungen von Juden werden für ungültig erklärt. (3.12.1938)

Juden werden vom Besuch der Universitäten völlig ausgeschlossen. (8.12.1938)

Das Halten von Brieftauben wird ihnen verboten.

  »Die Schule besuchte die Staatsfilme ›Olympia 1. Teil‹ am 28. September 1938, ›Olympia 2. Teil‹ am 17. November 1938, ›Unternehmen Michael‹ am 15. Februar 1939. Die Eröffnung der Reichsautobahn München-Augsburg am 8. Dezember erlebten unsere oberen Klassen als Ehrenstaffel des BDM.«   Die Zulassungen jüdischer Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker werden für erloschen erklärt. (17.1.1939)  
Elisabeth Englaenders Vater war Zahnarzt.
  »Als Anfang Februar 1939 die Bolschewistenherrschaft in Katalonien zusammenbrach, wussten wir, dass eine große Gefahr für den Frieden Europas beseitigt war.«   Im Spanischen Bürgerkrieg (1936–1939) kämpften
Soldaten aus vielen Ländern, darunter auch
Deutsche. Unter den Verteidigern der spanischen
Republik befanden sich – meist kommunistische
– Freiwillige aus Deutschland. Dem späteren
spanischen Diktator General Francisco Franco
(1892–1975) verhalf nicht zuletzt die von Hitler
als Unterstützung geschickte »Legion Condor«
zum Sieg. Traurige Berühmtheit erlangte die Zerstörung der baskischen Stadt Guernica durch die deutschen Flieger am 26.4.1937.
(G. Römer, Mutti war Jüdin)
  »Biologie

Biologische Erkenntnisse als Grundlage der nationalsozialistischen Weltanschauung

a) Was ist Rassenhygiene?

b) Welche Tatsachen machen sie zu einem dringenden Gebot der Stunde?

c) Mit welchen Gesetzen, Einrichtungen oder Maßnahmen wird im neuen Deutschland die drohende Volksentartung bekämpft?«
  »Wie schon seit sechs Jahren luden wir die ›Vereinigung ehemaliger Schülerinnen der Maria- Theresia- Schule‹ in der Faschingszeit am 14. Februar 1939 zu einem ›Bunten Abend‹ in unser Haus ein und ließen dabei von unseren Schülerinnen Tänze, ein Kasperltheater und einen Einakter ›Luise, beeile dich doch!‹ aufführen. Die Veranstaltung wurde für die Schülerinnen am Nachmittag des 16. Februar wiederholt, wobei sie in üblicher Weise maskiert erschienen.

Am 1. März, dem Tage der Luftwaffe, hörte die ganze Schule die Rede des Generalfeldmarschalls Göring an das deutsche Volk und die deutsche Jugend ...
  »Der Vorsitzende Oberstudiendirektor Dr. Germann eröffnet die Sitzung mit dem Hinweis auf die großen geschichtlichen Ereignisse, die unser Volk in diesen Tagen beglücken. Am Mittwoch 15. März konnte er bei der Entlassfeier der 9. Klasse die kurz vorher bei den Frühmeldungen des Rundfunks bekanntgegebene Eingliederung der Tschechei der Versammlung mitteilen und noch heute steht unser ganzes Lehrerkollegium unter dem tiefen Eindruck dieser Geschehnisse.«   Um einen Krieg zu verhindern, wurde die Tschechoslowakei 1938 durch ein in München zwischen Deutschland, Italien, Frankreich und England geschlossenes Abkommen gezwungen, seine von Sudetendeutschen bewohnten Landesteile an Deutschland abzutreten. Im März 1939 erklärte sich die Slowakei zum unabhängigen Staat und einen Tag später marschierten deutsche Truppen in die verbliebenen tschechischen Gebiete ein. Diese wurden zum deutschen Protektorat Böhmen und Mähren erklärt. Der tschecho-slowakische Staat bestand damit nicht mehr.
(G. Römer, Mutti war Jüdin)