Briefe und Erinnerungen   Auszug aus den Erinnerungen von Johanna Bernheim, geb. Bach, Schwester von Marie Bach

Auszug aus den Erinnerungen von Johanna Bernheim, geb. Bach, Schwester von Marie Bach:

»Meine Schwester [Marie], die jüngste von uns vieren und Hauswirtschaftslehrerin, ging als erste [ins Ausland, und zwar] 1932 in die Schweiz. Sie übersiedelte später nach Frankreich, stellte aber keinen Einbürgerungsantrag, weil sie ihre Ferien mit uns in Deutschland verbringen wollte. Außerdem besaß sie noch etwas Geld in Deutschland und wollte nicht den Großteil durch Tausch verlieren. So besuchte sie uns jedes Jahr und gab dann ihre Zinsen aus. Zuerst hatte sie die Erlaubnis der Devisenstelle einzuholen und sich sogar persönlich in der nächsten Hauptstadt vorzustellen (weil sie eine sogenannte ›Devisenausländerin‹ war). In den letzten Jahren brauchte sie eine Bescheinigung vom Arzt meines Vaters, um eine Sondererlaubnis für längere Besuche zu bekommen. Es gab Nachfragen der Gestapo, aus welchen Gründen sie gekommen sei, wie lange sie bleiben wolle, wo in Paris sie lebe, mit wem sie sich treffe. Einmal erschienen sie unangemeldet, durchsuchten all ihre Schubladen (nicht aber die meines Vaters im selben Schrank), ihre Briefe, ihre Bücher, alles. Im letzten Jahr [vermutlich 1938] verhörten sie meinen Vater über sie und regten den alten Mann mit ihren Methoden sehr auf. Wir waren immer sehr besorgt, ob meine Schwester herein- und herausgelassen würde, so viele Leute hatten schlechte Erfahrungen gemacht; sie hatte immer Glück.

Einmal trafen wir uns mit meinem jüngeren Bruder, und da meine Schwester noch nicht die Erlaubnis hatte, ihr Geld auszugeben, nahm sie natürlich sein Angebot an, von ihm zu leihen. Sie war erstaunt und empört, von einem Bankangestellten zu erfahren, dass ihnen beiden das nicht gestattet würde; wir waren erleichtert, als sie die Bank verließ. Sie war zu offenherzig und konnte nicht verstehen, dass wir unter solchen Umständen in Deutschland blieben. Ich antwortete: ›Erstens wäre es furchtbar hart für unseren alten, kranken Vater, von allen vier Kindern verlassen zu werden. Zweitens gibt es so viele unzufriedene Menschen in allen Klassen, Berufen und Handwerken, und drittens gab es den Röhm-Putsch und einen Militäraufstand – das lässt mich glauben, dass die Leute mit Recht sagen: Warten Sie noch ein Jahr und das Naziregime ist weggefegt!‹«

Johanna Bernheims Erinnerungen sind im Original auf Englisch verfasst. Die Veröffentlichung der vollständigen Übersetzung durch das Kulturamt Tübingen steht zu erwarten; wir danken für die Erlaubnis, diesen Auszug hier vorweg zu präsentieren.

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