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»Einzeln traten wir vor das Pult, hinter dem freundlich lächelnd der
Klassenlehrer saß. Charon (wir wurden fast immer mit Nachnamen angesprochen),
ein blasses, etwas rundliches, recht verlegen wirkendes Mädchen, trat
vor. Die Vornamen konnte ich trotz meiner guten Position in der ersten
Bank nicht verstehen.
›Kommen deine Vorfahren aus Frankreich?‹ fragte der Lehrer. Heftiges
Kopfschütteln. ›Geh‹, sagte er aufmunternd, ›das darfst du doch sagen!
Franzosen sind ja keine Juden. – Beruf des Vaters?‹ – ›Kaufmann.‹ –
›Konfession?‹ – Fast nur gehaucht: ›Israelitisch.‹ – Da wurde er so
rot, wie ich das noch nie bei einem Menschen gesehen hatte. ›Entschuldigung!‹
stammelte er. – Das blasse Mädchen hatte schon Englischstunden gehabt,
vom Turnen war es aber befreit,
es mied Kontakte mit den anderen, in der Pause aber wollte man es nicht
allein gehen lassen, da ging immer eine neben ihm her und versuchte
mit ihm zu sprechen, aber es war sehr, sehr scheu. |
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Nach
der sog. Kristallnacht (1938) kam es nicht mehr in die Schule. Das Dienstmädchen
holte die Bücher und Hefte unter seiner Bank, und man sagte uns auf
unser erstauntes Fragen hin, es gehe jetzt in eine Schule bei der Synagoge.
Das sei einfacher mit dem Religionsunterricht und auch mit dem Sabbath,
wo wir ja Schule hatten. Wieder ein Anflug von Röte im Gesicht des Lehrers,
aber wir verstanden nicht. Es müsse auch mehr Englischstunden haben
als wir, denn es werde wohl bald nach England oder Amerika auswandern.
(Hoffentlich hat die Charon das noch geschafft; wir haben nie mehr von
ihr gehört.)« |
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