Biografien   Sidonie Münzer
Sidonie Münzer
geb. 1913 in Gera, Vater Kaufmann.

Sidonie besuchte die »Maria-Theresia-Schule« von 1925 bis 1927 in den Klassen 1b und 2b.
Sidonie hieß verheiratet Sternberg. Ihre letzte Adresse war Duisburg, Universitätsstraße 30. Dort wohnte auch Otto Sternberg (geb. 1881), vermutlich ihr Schwiegervater. Beide wurden am 11. Dezember 1941 von Düsseldorf nach Riga deportiert – so wie wenige Tage später von Münster aus
Selma Cohen.
»In der Regel erhielten die Betroffenen Ende November 1941, teilweise jedoch auch erst Anfang Dezember … eine schriftliche Mitteilung, die sie über den Zeitpunkt der Deportation und die damit zusammenhängenden Formalitäten, u.a. Abgabe ihres Vermögens, Durchsicht und Plombierung des Gepäcks sowie die Höhe der Transportkosten, informierte. … Die Züge mit den Juden aus den umliegenden Ortschaften trafen im Laufe des 10. Dezember 1941 am Düsseldorfer Hauptbahnhof ein. Von dort aus mussten alle Personen … die rund fünf Kilometer lange Strecke bis zum Schlachthof in einer streng bewachten Kolonne durch eigens zu diesem Zweck abgesperrte Straßen zu Fuß zurücklegen. … [Im Schlachthof] mussten die über tausend Menschen die Nacht vor ihrer Abfahrt aus Düsseldorf in eisiger Kälte und … zumeist stehend verbringen. Zusätzlich sahen sich die Anwesenden permanenten Schikanen durch das Wachpersonal ausgesetzt … Nach einer rund zwölfstündigen Wartezeit im Schlachthof mussten die Juden am 11. Dezember 1941, gegen 4.00 Uhr morgens, den Weg zum Güterbahnhof Derendorf antreten, wo sich die Ankunft des Personen-
Sonderzuges … wesentlich verzögerte. Als Konsequenz dieser Verspätung mussten die Betroffenen zunächst bis zur Einfahrt des Zuges vier Stunden an der Verladerampe warten, um dann unter Gewaltandrohung und größter Hast in die Abteile gedrängt zu werden. … Verschiedene technische Schwierigkeiten … führten dazu, dass der Zug erst nach einer Fahrtzeit von insgesamt 61 Stunden auf dem Bahnhof Skirotava [bei Riga] ankam. [Da die Ankunft am Abend geschah, mussten die Juden] in dem mittlerweile unbeheizten Zug … die Nacht verbringen. Erst am Morgen verließen sie die Waggons« (B. Materne).
»In Skirotava wurden die Deportierten von ihren künftigen Peinigern erwartet. … Die nach mehr als dreitägiger Fahrt steif gewordenen Menschen … mussten zusehen, dass sie mit ihrem Handgepäck auf dem Güterbahnhof Aufstellung nahmen. … Hier oder später nach der Ankunft im Ghetto stellte sich Kurt Krause als Ghettokommandant vor, forderte zur Abgabe von Wertsachen auf und drohte jedem, der versuchen würde, sich von der Kolonne zu entfernen, mit Erschießen. Das Gepäck sollte man zurücklassen, es würde später ins Ghetto gebracht werden. Wer nicht genug Kraft hatte, um energisch seinen Rucksack aufzusetzen, gelangte unter Umständen nur mit einem Gepäckstück ins Ghetto. Das in den Abteilen zurückgelassene Gepäck sowie der Inhalt der Güterwagen wurde, nach Transporten sortiert, zur allgemeinen Benutzung in die Kleiderkammer des Ghettos gebracht. … In dem kalten, feuchten Klima … quälten sich die Menschenkolonnen die mehrere Kilometer lange Strecke vom Bahnhof bis zum Ghetto … Der Anblick, den das Ghetto den Deportierten bot, war schockierend.« Erst vor wenigen Tagen waren die vorigen Bewohner, lettische Juden, teils ermordet, teils anderswo untergebracht worden. »Treppenhäuser und Wohnungen machten einen verwüsteten Eindruck. Wie überstürzt der gewaltsame Aufbruch gewesen sein muss, zeigten die gefrorenen Essensreste auf den Tischen und in den Küchen. … Die Neuangekommenen, von denen sich acht bis zehn Personen zwei kleine Zimmer teilten, mussten sich schnell auf die widrigen Umstände einstellen. Und in der Tat fanden sich auch volle Kleiderschränke und Holzvorräte vor, so dass ein Anfang gemacht werden konnte. Katastrophal waren die hygienischen Verhältnisse, da die Wasserleitungen eingefroren waren« (W. Scheffler). Die meisten Deportierten starben während der folgenden Jahre bei der Zwangsarbeit oder durch Krankheit oder wurden erschossen.
Mit demselben Transport von Düsseldorf kam Hilde Zander (aus Korschenbroich bei Mönchengladbach) nach Riga; sie berichtet ausführlich in ihren Erinnerungen darüber (Zwischen Tag und Dunkel, 1984).

Literatur:
Barbara Materne, »Die Deportation aus Düsseldorf am 11. Dezember 1941«, in: »Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.« und »Riga-Komitee der deutschen Städte« gemeinsam mit der Stiftung »Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum« und der Gedenkstätte »Haus der Wannsee-Konferenz« (Hrsg.), Buch der Erinnerung. Die ins Baltikum deportierten deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Juden, bearbeitet von Wolfgang Scheffler und Diana Schulle, München 2003, Bd. 2, S. 691–694.
Wolfgang Scheffler, »Das Schicksal der in die baltischen Staaten deportierten deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Juden 1941–1945. Ein historischer Überblick«, ebd., Bd. 1, S. 1–43.

Hilde Sherman-Zander, Zwischen Tag und Dunkel. Mädchenjahre im Ghetto, Frankfurt a. M. – Berlin – Wien 1984.
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