Gertrud Lerchenthal
geb. 1911 in Augsburg, Vater Bankier
(»Bankhaus August Gerstle«), Wohnung Hochfeldstraße 2
Gertruds Vater Dr. med. Robert Lerchenthal (geb. 1880 in Gostenhof)
war Teilhaber des genannten Bankhauses. Gertruds Mutter hieß
Alice (»Liesl«), geb. Schwartz (geb. 1885 in Greiz). So wie
Gertrud besuchte auch ihre jüngere Schwester
Anneliese die Maria-Theresia-Schule.
Gertrud besuchte die Maria-Theresia-Schule von 1924 bis 1930
in den Klassen G4–G9; vermutlich war sie 1921 in Klasse 1 eingetreten.
Im Mai 1925 feierte Gertrud zusammen mit neun anderen jüdischen
Mädchen ihre »Konfirmation« in Augsburg (Batmizwah: Fest der
religiösen Mündigkeit für jüdische Mädchen, kann individuell
am Sabbat nach dem 12. Geburtstag des Mädchens begangen werden,
wurde in Augsburg aber, ähnlich wie die protestantische Konfirmation,
jährlich oder in noch größeren Abständen für mehrere Jahrgänge
gemeinsam abgehalten).
Ihrem Sohn Claude Kahn
hat Gertrud von ihrer Schulzeit erzählt. Demnach war sie gewöhnlich
unter den drei Klassenbesten, die heftig miteinander wetteiferten.
Gertrud betrachtete ihre Kindheit als sehr glücklich. Ihren
Vater, einen Alpinisten, verehrte sie sehr; gern begleitete
sie ihn bei seinen Touren, die oft in die Dolomiten führten.
1929 starb Gertruds Mutter Liesl.
Im Frühjahr 1930 legte Gertrud das Abitur ab. An der Münchner
Universität lernte sie den Jurastudenten Joachim-Friedrich Kahn
kennen (geb. 1907). Die beiden heirateten 1932 in Augsburg.
Joachim war ein älterer Halbbruder von
Ruth Kahn. Er wurde
1933, kurze Zeit nachdem er als Rechtsanwalt zugelassen worden
war, durch die antijüdischen Gesetze an der Ausübung seines
Berufs gehindert. Gertrud und Joachim wanderten noch im selben
Jahr nach Paris aus, wo sie sich zusammen mit einem anderen
Ehepaar an einer großen Gemüsehandlung beteiligten. Nach einem
Jahr zerbrach die Geschäftspartnerschaft. Die Kahns zogen weiter
nach Barcelona und drei Monate später nach London. Dort wurde
1935 ihr Sohn Claude geboren.
Für deutsche Juden in England war es schwierig, Arbeit zu finden.
Joachim emigrierte deshalb weiter nach Neuseeland. Gertrud ließ
sich für einige Monate in München als Zahnarztgehilfin ausbilden
und folgte dann, im Oktober 1936, zusammen mit Sohn Claude ihrem
Mann nach. Gertruds verwitweter Vater, Robert Lerchenthal, zog
1937 seinem ältesten Kind nach und gründete in Neuseeland eine
chemische Fabrik (»Ados Chemicals«).
Gertruds Bruder Hans Rudolf Lerchenthal (geb. 1917) starb als
noch junger Mann 1946 in Neuseeland bei einem Bergunfall.
Nach dem Tod ihres Vaters 1956 führte Gertrud die Fabrik weiter.
Produziert wurden u.a. Kleb- und Bindestoffe, später auch Kosmetika.
Gertrud Kahn, geb. Lerchenthal, ist 2005 in Neuseeland gestorben.
(Diese Biografie beruht zum großen Teil auf einem Brief, den
Gertruds Sohn Claude Kahn im Oktober 2006 an die Projektgruppe
schrieb.)
Siehe Joachim-Friedrich Kahn, Die Stellung
der Staaten in der Nordamerikanischen Union, Diss. Darmstadt
1934 (mit Lebenslauf). |