| Adele Obernbreit geb. 1898 in Augsburg, Vater Kaufmann
 
 Adeles Vater Emanuel Obernbreit (geb. 1866) war Besitzer eines 
					Schuhgeschäfts. Seine Ehefrau hieß Cäcilie (Cäzilia), geb. Großmann 
					(geb. 1862). So wie Adele besuchten auch ihre Schwestern
					
					Elsa,
					
					Ernestine und
					
					Rosa die »Städtische Töchterschule«, die ab 1914 »Maria-Theresia-Schule« 
					hieß. Adele ging hier von 1909 bis 1912 in die Klassen 1b, 3b 
					und 4a.
 Ende 1922 heiratete Adele den Münchner Damenschneider Samuel 
					Obarzanek (oder Oberschaneck, geb. 1896 in Warta), der polnischer 
					Staatsbürger war. Das Ehepaar bekam eine Tochter, Thea (geb. 
					1923), und einen Sohn, Emanuel (geb. 1927). Die Familie wohnte 
					in München in der Corneliusstraße 22, wo auch das Schneidereigeschäft 
					untergebracht war.
 Adeles Vater Emanuel starb 1924 in Augsburg. Seine Witwe Cäcilie 
					zog 1929 zusammen mit ihrer jüngsten Tochter, Elsa, nach München 
					und wohnte dort in der Reichenbachstraße, nahe bei der Familie 
					Obarzanek und gleich neben der dortigen Synagoge der aus Osteuropa 
					stammenden Juden.
 Ab 1938 waren speziell die polnischen Juden, die in Deutschland 
					lebten, zunehmenden Schikanen ausgesetzt. Samuel Obarzanek konnte 
					noch bis Mitte 1939 unter Einschränkungen in München arbeiten 
					(unter seinen Kunden durften keine »Arier« mehr sein), dann 
					wurde er ausgewiesen; die einzige Möglichkeit, auszuwandern, 
					bot ihm Italien. Seine Familie ging mit ihm. In Mailand arbeiteten 
					Samuel in seinem Beruf als Schneider, Adele als Näherin und 
					Thea als Hausmädchen.
 Anfang Juli 1940 wurde die Familie, wie viele andere ausländischen 
					Juden, in Kalabrien interniert. Samuel kam in das Lager Ferramonti, 
					die anderen drei zunächst für einige Wochen nach Rogliano, später 
					ebenfalls nach Ferramonti. Die Aufseher behandelten sie dort 
					einigermaßen gut, es gab genug zu essen, auch wurde Chinin gegen 
					die Malaria ausgegeben (Ferramonti lag in einem Sumpfgebiet). 
					Im Lager nahmen die Obarzaneks einen Jungen namens Harry (Enrich, 
					Heinrich) bei sich auf, der dort keine eigenen Angehörigen hatte.
 Im Oktober 1941, nachdem sie über ein Jahr im Süden interniert 
					gewesen waren, kam die Familie Obarzanek wieder nach Norditalien, 
					nach Villanova d’Asti. Dort konnten die Eltern wieder ihrer 
					gewohnten Arbeit nachgehen, Tochter Thea führte den Haushalt.
 Als sie im Herbst 1943 erfuhren, dass die Deutschen mit der 
					Verhaftung von Juden in Italien begannen, versteckten sich die 
					Obarzaneks in Zimone, einem piemontesischen Bergdorf. Dort wohnten 
					sie in einer Scheune. Die Dorfbewohner waren eingeweiht und 
					hielten zu ihnen. Doch aufgrund einer Unvorsichtigkeit des Jungen, 
					den die Familie in Ferramonti zu sich genommen hatte, wurden 
					sie von italienischen Soldaten entdeckt und nach Turin in ein 
					Gefängnis geschickt, das unter deutscher Leitung stand (vermutlich 
					das Gefängnis »Le Nuove«). Ein Freund aus Zimone erinnerte sich 
					noch im Jahr 2000 an das Bild, wie die Familie samt ihren armseligen 
					Strohsäcken auf einem Wagen abtransportiert wurde. Laut Liliana 
					Picciottos Libro della memoria (Ausgabe 2002) geschah 
					dies im Juni 1944.
 Nach zwei Monaten Gefängnishaft wurde die Familie Obarzanek 
					für ein oder zwei Tage in einem Sammellager untergebracht, dann 
					folgte die Deportation nach Auschwitz. Etwa 50–55 Personen wurden 
					in je einen Viehwaggon gepfercht. Die Fahrt dauerte fünf Tage. 
					Im Libro della memoria ist verzeichnet, dass der Zug 
					am 2. August in Verona losfuhr und am 6. August in Auschwitz 
					ankam.
 Nicht bekannt ist, was aus Harry wurde, dem Jungen, den die 
					Familie Obarzanek zu sich genommen hatte. Er war anscheinend 
					nicht unter den Deportierten vom August 1944.
 Samuel Obarzanek wurde gleich nach der Ankunft oder wenige Tage 
					später in Auschwitz ermordet. Der 17-jährige Emanuel wurde ins 
					Nebenlager Auschwitz-Charlottengrube (in Rydultau) gebracht, 
					um Zwangsarbeit in Bergwerken zu leisten. Dabei zog er sich 
					eine Infektion am Bein zu, wurde nach Auschwitz zurückgesandt 
					und dort ermordet. Adele und Thea aber überlebten die Haftzeit 
					im Lager. Sie wurden nach Liebau (Lubawka) gebracht, in eine 
					Abteilung des Konzentrationslagers Groß-Rosen in Niederschlesien 
					(gegen Ende des Krieges wurden Tausende von KZ-Häftlingen in 
					Groß-Rosen und dessen Außenlagern zusammengezogen). Dort sind 
					beide Frauen 1945 durch russische Truppen befreit worden: »Am 
					8. Mai 1945 hatten die deutschen Aufseher Liebau verlassen – 
					wir vermuteten: über Nacht. Wenige Stunden später kamen russische 
					Truppen und sagten uns, dass die Deutschen in Deutschland kapituliert 
					hätten« (Thea Aschkenase, geb. Obarzanek, in einer E-Mail vom 
					8. Mai 2007).
 Adeles Mutter Cäcilie war 1939 wieder zurück nach Augsburg gezogen, 
					in die Brunhildenstraße 1. Von hier wurde sie am 31. Juli 1942 
					über München nach Theresienstadt deportiert; im Januar 1943 
					ist sie dort an Typhus gestorben. Diese Auskunft bekamen Adele 
					und Thea, als sie nach ihrer Befreiung 1945 nach Theresienstadt 
					fuhren.
 Mutter und Tochter emigrierten zunächst nach Israel (Tel Aviv), 
					dann in die USA.
 Adele (»Ada«) Obarzanek, geb. Obernbreit, ist 1974 in Worcester 
					(Massachusetts) gestorben.
 
 (Diese Kurzbiografie beruht zum großen Teil auf Auskünften von 
					Thea Aschkenase, Ada Obarzaneks Tochter, in E-Mails von Januar–Mai 
					2007.)
 
 NB: Im Libro della memoria (Ausgabe 
					2002) ist angegeben, dass die Obarzaneks nach der Haft in Turin 
					auch noch in einem Mailänder Gefängnis festgehalten wurden. 
					Laut Thea Aschkenase, geb. Obarzanek, ist diese Angabe falsch.
 
 Siehe Andreas Heusler, Brigitte Schmidt, Eva 
					Ohlen, Tobias Weger u. Simone Dicke unter Mitarbeit von Maximilian 
					Strnad, Biographisches Gedenkbuch der Münchner Juden 1933–1945, 
					Bd. 2 (M–Z), hrsg. vom Stadtarchiv München, München 2007, S. 
					201f. u. 207f.
 Italienische Website zu den 
					Deportationen von Juden aus der Provinz Vercelli (und benachbarten 
					Provinzen) nach Auschwitz und in andere Konzentrationslager:
 www.storia900bivc.it/pagine/deportazione/presentazione.html 
					(Stand: Mai 2008).
 Fotos aus dem Turiner Gefängnis »Le Nuove« (heute z.T. Gedenkstätte) 
					von Eleanor Chiari, Dezember 2006, im Internet:
					http://hdl.handle.net/10065/116 
					(Stand: Mai 2008).
 
 Literatur:
 Thea Aschkenase, »It Was the Last Time We Were Together«, 
					in: Newsweek vom 23. Oktober 2000, S. 11.
 Francesco Folino, Ferramonti – un Lager di Mussolini. Gli 
					internati durante la guerra, Cosenza 1985.
 Alberto Lovatto, Deportazione memoria comunità. Vercellesi, 
					biellesi e valsesiani nei Lager nazisti, Mailand 1998, S. 
					37, 71f., 112f.
 Liliana Picciotto, Il libro della memoria. Gli Ebrei deportati 
					dall’Italia (1943–1945), Mailand 1991; 3., erw. Aufl. 2002, 
					S. 477.
 Daniela Sandigliano, »Una pagina della deportazione rivissuta 
					anche in paese dai protagonisti: ›Io, ebrea rifiugiata a Zimone‹. 
					La storia di Thea Aschkenase su Newsweek«, in: La Stampa, 
					edizione Vercelli, vom 12. November 2000, S. 41.
 Wolfram Selig, »Arisierung« in München. Die Vernichtung jüdischer 
					Existenz 1937–1939, Berlin 2004, S. 734 (zum Schneidereibetrieb 
					von Samuel Obarzanek).
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