Biografien   Gertrud Weil
Gertrud Weil
geb. 1920 in Augsburg (in den Schul-Jahresberichten ist kein Geburtsort angegeben), Vater Dipl.-Ingenieur, Klinkerberg 20

Gertruds Vater Siegfried Weil (geb. 1878) stammte aus Buchau am Federsee (Württemberg). Als Diplomingenieur für Maschinenbau kam er 1910 nach Augsburg und kaufte hier (im Stadtteil Pfersee, Leitershoferstraße 40) eine Firma für landwirtschaftlichen Maschinenbau. Auch seine jüngeren Brüder Hermann (der Vater von Edith Weil) und Julius (geb. 1887) ließen sich in Augsburg nieder; Hermann war Teilhaber der Firma.
1919 heiratete Siegfried. Seine Frau Amalie (»Mali«) Weil, geb. Lamm (geb. 1895), kam aus Nürnberg und war bis zu ihrer Heirat künstlerisch tätig (Ölmalerei). So wie Gertrud besuchte auch ihre jüngere Schwester Marianne die Maria-Theresia-Schule. Die Mädchen hatten einen jüngeren Bruder, Alfred (»Arie«, geb. 1925).
1931 war Siegfried wegen hoher Schulden gezwungen, seinen Betrieb zu verkaufen; sein Sohn Arie Weil ist überzeugt, dass dabei auch schon politische Gründe im Spiel waren (Auskunft im Jahr 2005). Siegfried wurde Vertreter von diversen Firmen für Schreinerartikel. Am 7. September 1938 starb er im 60. Lebensjahr nach Krankheit.
Gertrud, das erste Kind des Paares, besuchte die Maria-Theresia-Schule von 1930 bis 1935 in den Klassen 1–5.
1935 feierte Gertrud, zusammen mit anderen jüdischen Mädchen, ihre »Konfirmation« in Augsburg (Batmizwah: Fest der religiösen Mündigkeit für jüdische Mädchen, kann individuell am Sabbat nach dem 12. Geburtstag des Mädchens begangen werden, wurde in Augsburg aber, ähnlich wie die protestantische Konfirmation, jährlich oder in noch größeren Abständen für mehrere Jahrgänge gemeinsam abgehalten). Die Feier in der Synagoge wurde musikalisch u.a. von der Sängerin Dina Marx, geb. Strauss, gestaltet.
Nach der Schulzeit machte Gertrud eine Ausbildung zur Krankenschwester in einem jüdischen Kinderheim in München. Ab 1936 arbeitete sie in einem jüdischen Säuglingsheim in Berlin, ab 1939 bei einem jüdischen Arzt in Augsburg.
Am 28. Oktober 1940 heiratete Gertrud durch eine Ferntrauung Ernst Günzburger (geb. 1916 in Augsburg), ihre Jugendliebe. Ernst war 1937 nach Brasilien ausgewandert, als Gertrud noch in der Ausbildung stand. (Thea Günzburger war Ernsts Schwester.) Trotz der Heirat erhielt Gertrud keine Genehmigung zu emigrieren.
Am Klinkerberg wohnte bei der Familie zuletzt auch Gertruds Großmutter väterlicherseits, Julie Weil (geb. 1855). Sie wurde am 31. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert und starb dort kaum zwei Wochen später.
Zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester Marianne musste Gertrud 1942 in ein sogenanntes »Judenhaus« in der Hallstraße 14 ziehen und dort auf engstem Raum leben.
Die drei Frauen wurden Anfang März 1943 nach Auschwitz deportiert. Dort pflegte Gertrud Kranke und starb im Juli 1943 an Typhus. Mutter und Schwester lebten da wohl schon nicht mehr. Sie wurden 1946 für tot erklärt.
Gertruds Bruder Arie konnte 1939 nach Palästina emigrieren. Er lebt bis heute (Mai 2008) in Israel und war bei unserem Projekt sehr behilflich.
Gertruds Onkel Julius Weil war mit einer Christin verheiratet. Er überlebte den Krieg als Zwangsarbeiter und starb 1947 in Augsburg.
Der Name von Gertrud Günzburger ist auf einer Glastafel der Schoa-Gedenkstätte aufgeführt, die im Augsburger Rathaus zu besichtigen ist (Künstler: Klaus Goth).

Siehe
Renate Weggel, »Nicht Stadt, nicht Dorf. Industrialisierung in Pfersee und die Folgen«, in: Geschichtswerkstatt Augsburg e.V. (Hrsg.), Nicht Stadt, nicht Dorf. Leben und Arbeiten in Pfersee. Dokumentation und Ausstellung, Augsburg 1994, S. 1–21, hier S. 6 (Inserat von S. u. H. Weils »Motoren- u. Maschinenfabrik Augsburg-Pfersee«).
Renate Weggel, Pfersee: Dorf – Industrieort – Vorort. Die Industrialisierung und ihre Auswirkungen auf eine Gemeinde vor den Toren Augsburgs, Augsburg 1995, S. 32f. (zur Maschinenfabrik der Gebrüder Demharter, die S. Weil 1910 kaufte).
Walter Gerlach (Hrsg.), Das Buch der alten Firmen der Stadt und des Industriebezirkes Augsburg im Jahre 1930, Leipzig 1930, S. 75 (kurze Selbstbeschreibung von S. u. H. Weils Fabrik).

Literatur:
Sofia Dratva, »Geschichte der Familie Weil«, in: Peter Wolf (Hrsg.), Spuren. Die jüdischen Schülerinnen und die Zeit des Nationalsozialismus an der Maria-Theresia-Schule Augsburg. Ein Bericht der Projektgruppe »Spurensuche« des Maria-Theresia-Gymnasiums, Augsburg 2005, S. 38–42; aktualisierte Fassung auf dieser Website (s.u.).
Gernot Römer, Die Austreibung der Juden aus Schwaben. Schicksale nach 1933 in Berichten, Dokumenten, Zahlen und Bildern, Augsburg 1987, S. 171–176.
Regina Scheer, Ahawah. Das vergessene Haus. Spurensuche in der Berliner Auguststraße, Berlin 1992; 4. Aufl. 2004, bes. S. 222–242 (zu einer jüdischen Kinderkrippe in Berlin).

Geschichte der Familie Weil:

Weitere Informationen zur Geschichte der Familie Weil finden Sie über die Rubrik »Biografien« --> »Familie S. Weil«.
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