Marianne Weil
geb. 1922 in Augsburg (in den
Schul-Jahresberichten ist kein Geburtsort angegeben), Vater
Dipl.-Ingenieur, Klinkerberg 20
Mariannes Vater Siegfried Weil (geb. 1878) stammte aus
Buchau am Federsee (Württemberg). Als Diplomingenieur für Maschinenbau
kam er 1910 nach Augsburg und kaufte hier (im Stadtteil Pfersee,
Leitershoferstraße 40) eine Firma für landwirtschaftlichen Maschinenbau.
Auch seine jüngeren Brüder Hermann (der Vater von
Edith Weil) und Julius (geb. 1887) ließen sich in Augsburg
nieder; Hermann war Teilhaber der Firma.
1919 heiratete Siegfried. Seine Frau Amalie (»Mali«) Weil, geb.
Lamm (geb. 1895), kam aus Nürnberg und war bis zu ihrer Heirat
künstlerisch tätig (Ölmalerei). So wie Marianne besuchte auch
ihre ältere Schwester
Gertrud die Maria-Theresia-Schule. Die Mädchen hatten einen
jüngeren Bruder, Alfred (»Arie«, geb. 1925).
1931 war Siegfried wegen hoher Schulden gezwungen, seinen Betrieb
zu verkaufen; sein Sohn Arie Weil ist überzeugt, dass dabei
auch schon politische Gründe im Spiel waren (Auskunft im Jahr
2005). Siegfried wurde Vertreter von diversen Firmen für Schreinerartikel.
Am 7. September 1938 starb er im 60. Lebensjahr nach Krankheit.
Mit sechs Jahren begann Mariannes Schulleben an der St.-Anna-Schule.
Am 7. April 1932 kam sie an die Maria-Theresia-Schule. Marianne
hatte ausgezeichnete Schulnoten und war eine begabte Grafikerin.
Marianne war eines der neun Mädchen, die im Mai 1937 ihre »Konfirmation«
in Augsburg feierten, ebenso wie
Auguste Wolf und
Johanna Landmann (Batmizwah: Fest der religiösen Mündigkeit
für jüdische Mädchen, kann individuell am Sabbat nach dem 12.
Geburtstag des Mädchens begangen werden, wurde in Augsburg aber,
ähnlich wie die protestantische Konfirmation, jährlich oder
in noch größeren Abständen für mehrere Jahrgänge gemeinsam abgehalten).
Die Feier in der Synagoge wurde musikalisch u.a. von der Sängerin
Dina Marx, geb.
Strauss, gestaltet.
Während der ersten beiden Jahre war Elisabeth Lang aus Ederheim
(Ries) Mariannes Klassenkameradin. Als verheiratete E. Wolf
hat sie ihre Lebenserinnerungen veröffentlicht: Der Funke
Ewigkeit, Berlin 1997. In diesem Buch erzählt sie von mehreren
Lehrern, die an der Maria-Theresia-Schule dem Nationalsozialismus
deutlich distanziert gegenüberstanden. Der Deutschlehrer Dr.
Otto Feller etwa habe, als es um »Sippenforschung« ging, ausgerechnet
den Stammbaum von Marianne Weil als vorbildlich bezeichnet und
in der Klasse kursieren lassen; deswegen sei er vom Vater einer
Schülerin denunziert worden (diese Begebenheit wurde der Projektgruppe
auch von Otto Fellers Tochter bei einem Zeitzeugengespräch bestätigt).
Die Kunsterzieherin Lilly Premauer habe sich besonders um Marianne
gekümmert.
Die »Private Tennisgesellschaft Augsburg«, ein jüdischer Sportverein,
verwendete 1937 und 1938 Holzschnitte Mariannes für die Siegerurkunden
seiner Jugend-Sporttreffen. Es waren die letzten derartigen
Veranstaltungen vor der Enteignung des Vereins.
1938 erwarb Marianne den Lyzeumsabschluss (Mittlere Reife).
Bis 1940 studierte sie an der Kunstschule der Stadt Augsburg
Grafik. Im Frühjahr 1940 verursachte sie einen Eklat, weil sie
bei einer Klassenaufgabe, betitelt »Leuchte«, einen siebenarmigen
Leuchter – also ein Symbol des Judentums – ablieferte. Marianne
wurde 1940 von der Schule ausgeschlossen.
Ab September 1941 war Marianne Vorarbeiterin in der Ballonfabrik
Augsburg, die damals Werkstätten in der Augsburger Kammgarnspinnerei
unterhielt und wo viele jüdische Frauen und Mädchen Zwangsarbeit
leisteten.
Am Klinkerberg wohnte bei der Familie zuletzt auch Mariannes
Großmutter väterlicherseits, Julie Weil (geb. 1855). Sie wurde
am 31. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert und starb dort
kaum zwei Wochen später.
Zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester Gertrud wurde
Marianne 1942 aus ihrer Wohnung vertrieben und musste in ein
so genanntes »Judenhaus« in der Hallstraße 14 ziehen, wo die
Familie auf engstem Raum lebte. Die drei Frauen wurden Anfang
März 1943 nach Auschwitz deportiert. 1946 wurden Marianne und
ihre Mutter, 1947 Gertrud für tot erklärt.
Mariannes Bruder Arie konnte 1939 nach Palästina emigrieren.
Er lebt bis heute (Mai 2008) in Israel und war bei unserem Projekt
sehr behilflich.
Mariannes Onkel Julius Weil war
mit einer Christin verheiratet. Er überlebte den Krieg als Zwangsarbeiter
und starb 1947 in Augsburg.
Der Name von Marianne Weil ist auf einer Glastafel der Schoa-Gedenkstätte
aufgeführt, die im Augsburger Rathaus zu besichtigen ist (Künstler:
Klaus Goth).
Siehe Stiftung Jüdisches Kulturmuseum Augsburg-Schwaben
(Hrsg.), Ein fast normales Leben. Erinnerungen an die jüdischen
Gemeinden Schwabens. Ausstellung der Stiftung Jüdisches Kulturmuseum
Augsburg-Schwaben nach einem Konzept von Gernot Römer, Augsburg
1995, S. 119 (Holzschnitt mit Widmung von Marianne Weil) und
S. 158 (PTGA-Urkunden mit Mariannes Holzschnitten).
Renate Weggel, »Nicht Stadt, nicht Dorf. Industrialisierung
in Pfersee und die Folgen«, in: Geschichtswerkstatt Augsburg
e.V. (Hrsg.), Nicht Stadt, nicht Dorf. Leben und Arbeiten
in Pfersee. Dokumentation und Ausstellung, Augsburg 1994,
S. 1–21, hier S. 6 (Inserat von S. u. H. Weils »Motoren- u.
Maschinenfabrik Augsburg-Pfersee«).
Renate Weggel, Pfersee: Dorf – Industrieort – Vorort. Die
Industrialisierung und ihre Auswirkungen auf eine Gemeinde vor
den Toren Augsburgs, Augsburg 1995, S. 32f. (zur Maschinenfabrik
der Gebrüder Demharter, die Siegfried Weil 1910 kaufte).
Walter Gerlach
(Hrsg.), Das Buch der alten Firmen der Stadt und des Industriebezirkes
Augsburg im Jahre 1930, Leipzig 1930, S. 75 (kurze Selbstbeschreibung
von S. u. H. Weils Fabrik).
Literatur:
Sofia Dratva, »Geschichte der Familie Weil«, in: Peter
Wolf (Hrsg.), Spuren. Die jüdischen Schülerinnen und die
Zeit des Nationalsozialismus an der Maria-Theresia-Schule Augsburg.
Ein Bericht der Projektgruppe »Spurensuche« des Maria-Theresia-Gymnasiums,
Augsburg 2005, S. 38–42; aktualisierte Fassung auf dieser Website
(s.u).
Eugen Nerdinger, Brüder, zum Licht empor. Ein Beitrag zur
Geschichte der Augsburger Arbeiterbewegung, Augsburg 1984,
S. 239.
Gernot Römer, Die Austreibung der Juden aus Schwaben. Schicksale
nach 1933 in Berichten, Dokumenten, Zahlen und Bildern,
Augsburg 1987, S. 171–176.
Elisabeth Wolf, Der Funke Ewigkeit. Eine Familienchronik,
Berlin 1997, S. 114–117 u. 236.
Zeitzeugen – Briefe und Erinnerungen:
Brief von Eugen Nerdinger an Arie Weil vom
17. Januar 1986.
zum Text
Geschichte der Familie Weil:
Weitere Informationen zur Geschichte der Familie Weil finden
Sie über die Rubrik »Biografien« --> »Familie S. Weil«.
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