| Marie Bach geb. 1902 in Augsburg, Vater Kaufmann, 
					Prinzregentenstraße
 
 Maries Vater hieß Max Bach (geb. 1859 in Altenstadt an der Iller), 
					ihre Mutter Mathilde, geb. Frankfurter (geb. 1873 in Stuttgart). 
					In Augsburg führte Max Bach eine Häute-Großhandlung. Das Ehepaar 
					bekam vier Kinder: Johanna, Fritz, Albert und Marie. Die Mutter 
					starb 1938 in Tübingen, der Vater 1940 im Jüdischen Krankenhaus 
					in München.
 Marie besuchte die Maria-Theresia-Schule von 1913 bis 1920 oder 
					1921, zunächst in den Klassen 1–6 der »Höheren Mädchenschule«, 
					zum Schluss noch für ein oder zwei Jahre in der »Frauenschule«.
 Am 23. April 1914 fand eine Feier statt, nach der die Eltern 
					der Schülerinnen den soeben fertiggestellten Neubau der Schule 
					in der Gutenbergstraße besichtigen konnten. Dabei wurde Ernst 
					Johann Groths Stück Madame Breitkopf. Dramatisches Kulturbild 
					aus dem deutschen Frauenleben der Rokokozeit aufgeführt. 
					Marie spielte darin die Rolle von Dorchen, einer Tochter von 
					»Madame Stock« (vgl. Goethe, Dichtung und Wahrheit, zweiter 
					Teil, achtes Buch).
 Marie feierte 1918, gemeinsam mit ihrer früheren Schulkameradin
					
					
					Selma Cohen, 
					ihre »Konfirmation« in Augsburg (Batmizwah: Fest der religiösen 
					Mündigkeit für jüdische Mädchen, kann individuell am Sabbat 
					nach dem 12. Geburtstag des Mädchens begangen werden, wurde 
					in Augsburg aber, ähnlich wie die protestantische Konfirmation, 
					jährlich oder in noch größeren Abständen für mehrere Jahrgänge 
					gemeinsam abgehalten).
 Nach der Schulzeit arbeitete Marie als »Haushalt-Lehrerin«. 
					Sie ging 1932 in die Schweiz, wenig später nach Paris und wurde 
					1940 im Lager Gurs in Südwest-Frankreich interniert, so wie 
					auch
					
					Else Einstein. Aus Paris und Umgebung trafen am 23. Mai 
					1940 im Lager 2.364 Frauen ein, darunter auch viele Jüdinnen. 
					Es handelte sich um ledige oder kinderlos verheiratete Frauen 
					mit deutscher Staatsangehörigkeit, die, als Deutschland den 
					Krieg gegen Frankreich ernsthaft zu führen begann, unter Generalverdacht 
					gestellt und auf diese Weise festgesetzt wurden. Nachdem dann 
					am 22. Oktober 1940 etwa 7500 badische und saarpfälzische Juden 
					nach Gurs deportiert worden waren (darunter
					
					
					Rosa Lieblich), schickte die Polizei der Vichy-Regierung 
					auch weiterhin Juden, die in Frankreich aufgegriffen wurden, 
					in dieses Lager.
 Marie fühlte sich verpflichtet, 
					dem Rabbi im »Camp de Gurs« zu helfen; als Verwandte sie mit 
					Geld zu befreien versuchten, soll sie es deshalb abgelehnt haben, 
					das Lager zu verlassen. Maries Nichte Hanna Lantz, geb. Hannelore 
					Bach, schrieb am 28. Dezember 1994 aus Taylor (Michigan, USA) 
					an Eleonore Philipp, nach fast 50-jähriger Emigration in immer 
					noch leidlich verständlichem Deutsch: »Tante Marie Bach – die 
					jüngste Schwester von meinem Vater – ist in Paris gelebt. Da 
					hatte sie auch gearbeitet. War sie zum Gurs Concentration Camp 
					genommen und hatte meine Tante Lisbeth (der jüngere Bruder von 
					meinem Vater Albert ist ihr Mann und die leben in Israel) hatte 
					noch jemand in diesen Camp Geld gegeben. Sagte aber Tante Marie 
					– sie kann nicht den Rabbi im Camp verlassen und wollte ihm 
					immer helfen. Sie war sehr religious. Dann wurde sie zu Theresienstadt 
					genommen und ist sie mit Gas ermordet.« Statt »Theresienstadt« 
					muss es wohl »Auschwitz« heißen: 1942 und 1943 wurden die jüdischen 
					Häftlinge von Gurs über das Durchgangslager Drancy (bei Paris) 
					nach Auschwitz und anderen Vernichtungslagern in Polen deportiert. 
					Am 10. August 1942 ging ein solcher Transport von Drancy nach 
					Auschwitz. Auf der Liste der damals Deportierten steht eine 
					Frau namens Marie Bach, die mit der gebürtigen Augsburgerin 
					identisch sein dürfte, obwohl Geburtsdatum und -ort auf der 
					Liste nicht genau mit den Augsburger Dokumenten übereinstimmen.
 Hanna Schramm, die von 
					Juni 1940 bis November 1941 in Gurs interniert war, berichtet 
					in ihren Erinnerungen von einer noch nicht 40-jährigen Frau 
					namens Lisbeth Bach, die im Winter 1940/41 in Block M erschienen 
					sei und dann eine Zeitlang dort »die soziale Fürsorge« innegehabt 
					habe. Zu früherer Zeit sei Lisbeth Bach Haushälterin beim Rabbi 
					von Marseille gewesen, in Gurs habe sie einen Kontakt zwischen 
					den Leiterinnen von Block M und dem Rabbi des Lagers, Leo Ansbacher, 
					hergestellt. »Niemals an sich selbst denken und eine fast fanatische 
					Gerechtigkeitsliebe, das war Bach.« Hier liegt eine Verwechslung 
					des Vornamens vor. Zwei erhaltene Briefe, die Marie Bach aus 
					Gurs an ihre Schwester Johanna (»Hannah«) Bernheim schrieb, 
					belegen, dass Marie im Mai 1941 in Block M einquartiert war 
					und dass sie dem »Service social« angehörte. Gegenüber einer 
					jüdischen Hilfsorganisation gab Hannah Bernheim für Marie im 
					Mai 1941 eine vermittelnde Adresse in Marseille an. Es ist auch 
					ein Foto erhalten, das 
					Hanna Schramm und acht weitere Frauen in Gurs zeigt, darunter 
					Anne-Lise Eisenstadt, die Hanna Schramm 1940/41 bei der Betreuung 
					von Block M geholfen hatte. Anne-Lise Eisenstadt hat unter den 
					abgebildeten Frauen auch die »Sozialarbeiterin« Marie Bach identifiziert.
 Laut seinen Erinnerungen am 10. August 1942 – den Transportlisten 
					zufolge aber erst am 12. – war auch ein Mann namens Rolf Weinstock 
					unter den Juden, die am Bahnhof von Drancy
					in die Waggons steigen mussten. 
					Rolf Weinstock hat die Deportation nach Auschwitz überlebt
					und in seinen Erinnerungen über diesen Transport 
					berichtet: »Viehwagen, ohne Stroh, und nur mit kleinen 20 cm 
					hohen und 50 cm langen Luftlöchern, waren vorgefahren. Auf dem 
					Zettel, wo sonst die Anzahl des zu befördernden Viehes vermerkt 
					war, stand die Zahl 50. … Als alle Waggons belegt waren, erhielten 
					wir für zwei Tage Lebensmittel und für fünfzig Personen einen 
					Eimer mit 20 Liter Wasser. Dann wurden die Waggons verschlossen 
					und versiegelt. Wir waren eingesperrt.« Die Zugfahrt nach Auschwitz 
					dauerte fünf Tage. Schon im Zug starben viele der Deportierten. 
					Marie Bach gilt als verschollen.
 Maries Schwester Johanna (geb. 1895) heiratete Adolph Bernheim, 
					der ein Mitinhaber der »Mechanischen Buntweberei Bernheim & 
					Cie.« in Bronnweiler bei Reutlingen war. Das Ehepaar bekam zwei 
					Kinder und zog mit ihnen 1930 nach Tübingen. 1937 reiste die 
					Tochter Doris nach England aus, um dort ein Internat zu besuchen. 
					Nach der »Arisierung« der Firma emigrierten die anderen drei 
					Familienmitglieder 1939 in die USA, nachdem sie im November 
					1938 noch einmal Johannas Vater Max Bach in Augsburg besucht 
					und dabei den Brand der Synagoge miterlebt hatten. Auch Doris 
					folgte ihrer Familie nach Amerika. Johanna Bernheim ist 1990 
					in Cincinnati gestorben.
 Maries Bruder Fritz (geb. 1897) wurde nach der Pogromnacht am 
					10. November 1938 verhaftet, nach einigen Wochen Haft im KZ 
					Dachau folgten Enteignung, »Arisierung« seines Textilgeschäftes, 
					Verlust der Wohnung in München. 1939 emigrierte er in die USA, 
					seine Frau Lotte und seine Tochter Hannelore (beide waren protestantisch 
					und galten als »jüdisch versippt«) blieben unter schwierigen 
					Bedingungen in Deutschland, Fritz Bach sah beide erst 1947 in 
					New York wieder. 1995 ist Fritz in Southgate (Michigan) gestorben.
 Maries Bruder Albert (geb. 1899) emigrierte mit seiner Frau 
					Lisbeth, geb. Rothgießer, und beider Sohn nach Frankreich. Albert 
					hielt sich während des Krieges in Marokko auf, seine Frau und 
					sein Sohn in den Pyrenäen. 1951 wanderte die Familie nach Israel 
					aus. Albert ist 1998 im Kibbuz Ruchama gestorben.
 Zwei Onkel und zwei Tanten von Marie Bach wurden deportiert 
					und ermordet.
 Der Name von Marie 
					Bach ist auf einer Glastafel der Schoa-Gedenkstätte aufgeführt, 
					die im Augsburger Rathaus zu besichtigen ist (Künstler: Klaus 
					Goth).
 
 (Ein großer Teil dieser Informationen 
					stammt aus Eleonore Philipps Buch Gerettet [1998] sowie 
					aus brieflichen Mitteilungen der Autorin an die Projektgruppe. 
					Auch Maries Nichte Doris Doctor hat zu dieser Biografie beigetragen.)
 
 NB: Auf der Liste für die Deportation von Drancy nach 
					Auschwitz steht bei Marie Bach als Geburtsdatum der 8. 2. 1902 
					(statt richtig der 8. 11.), und als ihr Geburtsort wird nicht 
					Augsburg, sondern »Dugburg« 
					angegeben (laut S. Klarsfeld; falsche Korrektur bei B. Vormeier: 
					Duisburg). Die von Franzosen angefertigten Deportationslisten 
					für deutsche Juden sind generell sehr fehlerhaft und zum Teil 
					schwer zu entziffern.
 
 Siehe Serge Klarsfeld, Le Mémorial de la 
					déportation des Juifs de France, Paris 1978, Liste von Convoi 
					Nr. 17 (mit dem Namen Marie Bachs).
 Barbara Vormeier, Die Deportierungen deutscher und österreichischer 
					Juden aus Frankreich (1942–1944), Paris 1980, S. 69 (der 
					Name Marie Bachs auf derselben Deportationsliste).
 Gabriele Mittag, »Es 
					gibt Verdammte nur in Gurs«. Literatur, Kultur und Alltag in 
					einem südfranzösischen Internierungslager. 1940–1942, Tübingen 
					1996, S. 39 (Foto aus Gurs mit der »Sozialarbeiterin« 
					Marie Bach).
 Andreas Heusler, Brigitte Schmidt, Eva Ohlen, Tobias Weger u. 
					Simone Dicke, Biographisches Gedenkbuch der Münchner Juden 
					1933–1945, Bd. 1 (A–L), hrsg. vom Stadtarchiv München, 
					München 2003, S. 73 unten (zu Max Bach).
 
 Literatur:
 Eleonore Philipp, Gerettet. Erinnerungen an zwei Familien 
					im Nationalsozialismus. Familie Bach und Familie Gailer, 
					Niederroth (Eigenverlag) 1998 (zur Familie von Fritz Bach).
 Hanna Schramm, Menschen in Gurs. Erinnerungen an ein französisches 
					Internierungslager (1940–1941). Mit einem dokumentarischen Beitrag 
					zur französischen Emigrantenpolitik (1933–1944) von Barbara 
					Vormeier, Worms 1977, bes. S. 100–104 (über Lisbeth Bach).
 Barbara Vormeier, »Dokumentation
					zur französischen Emigrantenpolitik 
					(1933–1944) – Ein Beitrag«, ebd., S. 155–384.
 Rolf Weinstock, Das wahre Gesicht Hitler-Deutschlands. Häftling 
					Nr. 59000 erzählt von dem Schicksal der 10000 Juden aus Baden, 
					aus der Pfalz und aus dem Saargebiet in den Höllen von Dachau, 
					Gurs-Drancy, Auschwitz, Jawischowitz, Buchenwald, Singen 
					1948.
 Ulrike Baumgärtner, »Die Emigration der Familie Bernheim – Rekonstruktion 
					einer Ausplünderung und Vertreibung« und »Die Familie Bernheim 
					in den USA – Eine neue jüdisch-amerikanische Identität«, in: 
					Geschichtswerkstatt Tübingen (Hrsg.), Zerstörte Hoffnungen. 
					Wege der Tübinger Juden, Stuttgart 1995, S. 303–314 und 
					315–318 
					
					(zur Familie von 
					Johanna Bernheim, geb. Bach).
 
 Zeitzeugen – Briefe und Erinnerungen: Die Erinnerungen 
					von Johanna Bernheim, geb. Bach, enthalten einen Passus über 
					ihre Schwester Marie.
 
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